Anspruch auf Ausgleichszahlung bei Nichtbeförderung besteht auch dann, wenn der Passagier nicht bei der Abfertigung des Fluges erschienen ist und mindestens zwei Wochen vor dem planmäßigen Abflug über die Nichtbeförderung unterrichtet worden ist!
Die Passagierin wurde nicht über das Vorverlegen Ihres Fluges informiert
Der Sachverhalt des Vorlageverfahrens an den EuGH, LG Frankfurt: Die Klägerin buchte bei Latam Hin und Rückflüge von Frankfurt am Main nach Madrid und zurück (Hinflug am 21.12.2017, Rückflug am 7.01.2018). Als die Passagierin am 21. Dezember online für Ihren Hinflug einchecken wollte, war dies nicht möglich. Sie kontaktierte die Fluglinie und es stellte sich heraus, dass Sie ohne jegliche Information bereits auf einen Flug am 20.12.2017 umgebucht worden ist. Der Flug hatte bereits ohne Sie als Passagier stattgefunden.
Latam hat die Reisende wegen Nichtantritt des vorverlegten Hinflugs für den Rückflug gesperrt
Weiters teilte Ihr Latam mit, dass sie wegen des Nichterscheinens am Hinflug für den Rückflug am 7. Jänner gesperrt worden ist! Eine Nichtbeförderung oder Streichung von der Passagierliste des Rückfluges wegen „no show“ kommt leider häufig vor und ist für Betroffene mehr als ärgerlich.
Nachdem die Passagierin diese schlechten Nachrichten erhalten hat, buchte Sie neue Flüge für rund 528,23 Euro, um die Reise antreten zu können. Latam erstattete vorgerichtlich lediglich 101,55 Euro. Ein Urteil des Amtsgerichts Frankfurt sprach der Reisenden dann 426,68 Euro zu (der Fehlbetrag für die Ticketkosten der notwendig gewordenen Ersatzbeförderung), sowie auch eine Ausgleichszahlung in der Höhe von 250 Euro wegen des annullierten Hinfluges zu.
Die Klägerin (FW) forderte aber auch für die Nichtbeförderung auf dem Rückflug eine Ausgleichsleistung von 250 Euro von Latam. Dieses Begehren wurde von Gericht mit folgender Begründung abgewiesen:
„Dagegen wies das Amtsgericht die Klage von FW ab, soweit damit eine Ausgleichsleistung über weitere 250 Euro wegen der Verweigerung der Beförderung auf dem von ihr bei diesem Luftfahrtunternehmen gebuchten Rückflug geltend gemacht wurde. FW sei im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 die Beförderung verweigert worden, auch wenn sie sich entgegen Art. 2 Buchst. j und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung nicht zur Abfertigung bzw. am Flugsteig eingefunden habe. Da es aber für den Fluggast keinen Unterschied mache, ob die verweigerte Beförderung auf einer Annullierung des Fluges oder einer Nichtbeförderung – bei Aufrechterhaltung des Flugplans – beruhe, wandte das Amtsgericht Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung analog an. Infolgedessen sprach es FW diese zusätzliche Ausgleichsleistung nicht zu, da sie am 21. Dezember 2017 und damit mehr als zwei Wochen vor der geplanten Abflugzeit des ursprünglich gebuchten Rückflugs von der Nichtbeförderung unterrichtet worden sei..“
Wenn ein Passagier zwei Wochen vor dem geplanten Abflugdatum von einer Annullierung informiert wird, besteht kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Da die Nichtbeförderung durch analoge Anwendung der Bestimmungen für die Annullierung beurteilt wurde, kam es zu keinem Anspruch bei Nichtbeförderung. Schließlich wurde die Passagieren bereits zwei Wochen vor dem Rückflug über die Nichtbeförderung informiert.
Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung ein und beanstandete die analoge Anwendung der Annullierung (Artikel 5 Abs.1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 261/2004) bei Nichtbeförderungsfällen.
Im Berufungsverfahren wurden dem EuGH folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrecht vorgelegt:
- Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass sich der Fluggast – wie von Art. 3 Abs. 2 bzw. Art. 2 Buchst. j dieser Verordnung gefordert – auch dann zu der angegebenen Zeit bzw. spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung bzw. am Flugsteig eingefunden haben muss, um den Anwendungsbereich der Verordnung zu eröffnen und eine ausgleichspflichtige Nichtbeförderung gemäß Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung zu begründen, obwohl das ausführende Luftfahrtunternehmen bereits zuvor angekündigt hat, den Fluggast nicht befördern zu wollen?
- Für den Fall, dass die Frage zu 1. bejaht wird:
Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass Ausgleichsansprüche wegen Nichtbeförderung gemäß den Art. 4 und 7 in entsprechender Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung ausgeschlossen sind, wenn der Fluggast über die Beförderungsverweigerung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet worden ist?
Der EuGH hat die Vorabentscheidungsfragen folgendermaßen beantwortet:
Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, dem Fluggast eine Ausgleichszahlung leisten muss, selbst wenn er sich nicht unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat.
2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
diese Bestimmung, die eine Ausnahme vom Ausgleichsanspruch der Fluggäste im Fall der Annullierung eines Fluges vorsieht, nicht den Fall regelt, dass ein Fluggast mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde, so dass ihm ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 der Verordnung zusteht.
Warum werden Auslegungsfragen der EU-Fluggastrechteverordnung dem EuGH vorgelegt?
Da die Verordnung 261/2004 europäisches Recht ist, darf nur der EuGH die Auslegung vornehmen.
Für die Auslegung der Verordnung ist nur der EuGH zuständig und entscheidet daher regelmäßig im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren. Die zuständigen innerstaatlichen Gerichte dürfen das Unionsrecht nicht selbst auslegen. Daher stellen Sie, wenn es im Verfahren notwendig ist, Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Verordnung an den EuGH. Hat der EuGH dann entschieden, wie das Unionsrecht auszulegen ist, geht das Verfahren am nationalen Gericht weiter und das Gericht fällt sein Urteil. Das Vorabentscheidungsverfahren unterbricht das nationale Verfahren.